Die BoD-Autorin und Amazon
Don’t mess with big A!
Wer Bücher schreibt, kommt früher oder später an den Punkt, wo er oder sie sich eine Meinung zu Amazon bilden muss. Amazon startete 1995 als Online-Buchhändler, trat 1998 in den deutschen Markt ein und ist inzwischen der mit großem Abstand umsatzstärkste Online-Shop in Deutschland. Amazon.de setzte im Jahr 2016 ganze 8,12 Milliarden Euro um. Auf den nächsten Plätzen folgten Otto.de (2,74 Mrd. Euro) und Zalando (1,12 Mrd. Euro). Der größte Online-Buchhändler Thalia.de findet sich mit 120,3 Mio. Euro auf Platz 47. Es ist nicht anzunehmen, dass ein deutscher Shop Amazon von seiner Position als Marktführer verdrängen wird. Zumal Big A seinen Zenith noch nicht erreicht hat.
Buchhandel als Testballon
Schon heute gibt es kaum eine Branche, die der globale Riese nicht vor neue Gegebenheiten gestellt hat. Ob Reifen- oder Spielzeughändler, der Riese aus Seattle setzt sie alle unter Druck. Und weil Amazon-Gründer Jeff Bezos sich nicht damit zufrieden gibt, der reichste Mensch der Welt zu sein, drängt er, grazil wie ein Bulldozer, in neue Geschäftsfelder vor. Der Versand von Nahrungsmitteln, bringt den Lebensmitteleinzelhandel in Bedrängnis. Deutsch Post/DHL bekommen Amazons Logistik-Offensive zu spüren, die TV-Sender die Konkurrenz durch Amazon Prime. Nebenbei revolutioniert Alexa nicht nur unseren Umgang mit Alltagstechnologie in den eigenen vier Wänden, sondern auch im Büro. Die Welt der Bücher ist längst nicht genug.
Boykott und Protest
Als Konsument haben wir nun die Möglichkeit, Amazon zu boykottieren und gegen seine Praktiken zu protestieren. Was das bringt, können wir diejenigen fragen, die schon die Beschäftigung mit dem Internet für unnötig hielten. Für Menschen, die Waren – und auch Bücher sind Waren – verkaufen möchten, ist diese Vorgehensweise kaum zu empfehlen. Für Bücher sind vor allem zwei Absatzwege relevant. Ich erwähnte sie bereits in meinem Artikel zum Buchhandel. Der Buchhandel und Amazon (in dieser Reihenfolge). Während der Buchhandel nach einem über Jahrzehnte etablierten System funktioniert, wonach er über den Großhandel mit den Publikationen aus der Verlagswelt bestückt wird, die kaum Raum lassen für kleinere Verlage oder gar Selfpublisher, funktioniert „Big A“ nach seinen eigenen Regeln.
Jedem Autor eine Chance?
Der größte Online-Shop hat ein eigenes System aufgebaut, das ihm hilft, Produkte an den Mann oder an die Frau zu bringen. Das System basiert auf dem Prinzip von Empfehlung und Ähnlichkeit. Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch jenes erworben. Die Liste der Empfehlungen wächst mit jedem Einkauf, basierend auf dem Kaufverhalten von abertausend anderen Menschen. Wer sich einmal treiben lässt, entdeckt Titel (und Genres), die der Buchhandel niemals präsentiert hätte. Dabei wird die Herkunft eines Titels (großer oder kleiner Verlag oder gar kein Verlag) zur Nebensache. Als Qualitätsgarant wirkt nicht das Verlagslogo, sondern der „Blick ins Buch“, die Leseprobe. Gleichzeitig geben Bewertungen anderer Leser eine Orientierung auf der Skala von einem bis fünf Sternen.
El Dorado für Selfpublisher?
Für unabhängige Verlage und Selfpublisher ist dieses System eine große Chance. Ein Titel kann zum Bestseller werden, weil er Leser und Leserinnen überzeugt. Qualität setzt sich durch, unabhängig davon, ob der Absender zur Elite des verlegerischen Elfenbeinturms gehört. Die Amazon-Verkaufscharts unterscheiden sich von den Bestsellerlisten des Buchhandels. Immer wieder erreichen Selfpublisher, besonders bei den eBooks, Top-Platzierungen. Das Erfolgsrezept: Mit einem reißerischen Cover und verführerisch günstigem Preis starten, schnell möglichst viele 5-Sterne-Bewertungen aus der eigenen Fan-Gemeinde ansammeln – den Rest erledigt die „Kunden kauften auch“-Funktion. Bis jetzt.
Viele kleine Fische
Das Geschäftsmodell von „Big A“ schien zu sein: Nicht nur auf die großen setzen, sondern auch den Schwarm der kleinen Fische mitnehmen. Aktuelle Entwicklungen geben Raum für die Vermutung, dass Amazon sein Geschäftsmodell erneut wandelt. Der Schwarm wird in interessante und weniger interessante Fischchen zerlegt. Was passiert? Das bisherige Amazon-System hat neue Tätigkeitsfelder geschaffen. Autoren und Kleinstverlage paktieren mit Bloggern, um möglichst schnell aussagekräftige Bewertungen anzuhäufen. Rezensionsexemplare werden teilweise in großem Stil verschenkt, Schnellschreiber werfen einen Text nach dem anderen auf den Markt. Qualität egal, die Masse macht’s. Viele Verlage setzen dem entgegen, was sie an Qualität zu bieten haben – und kommen selbst mit Amazon ins Geschäft.
Verlagsseiten und Sponsored Products
Seit etwa anderthalb Jahren bietet Amazon seinen Verkäufern die Möglichkeit, auf Amazon zu werben. Im Vergleich zu Banner-Werbung oder Suchmaschinenanzeigen ist dies eine relativ junge Werbeform, die noch nicht von allen Marktteilnehmern entdeckt worden ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Was Amazon potenziellen Käufern empfiehlt, entscheidet nach wie vor der eigene Algorithmus. Nicht das Geld eines Werbekunden. Was allerdings käuflich ist, sind Kategoriesponsorings, also das, was potenzielle Käufer sehen, die in das Amazon-Suchfenster „Liebesromane“ eingeben. Hier nutzen Verlage die Chance, ihre Produktpalette zu präsentieren. Eine andere Möglichkeit, für kleinere Geldbeutel, sind „Gesponserte Produkte zu diesem Artikel“. Hier können Verkäufer ganz gezielt einzelne ihrer Produkte auf fremden Produktseiten bewerben.
BoD versus Amazon
Als ich im Vorfeld meiner Veröffentlichung über die Allokation meiner überschaubaren Menge an Marketing-Euros nachdachte, rangierten die gesponserten Produkte bei Amazon an erster Stelle. Ich plante, mein Produkt über einen gewissen Zeitraum im Umfeld bestimmter Bestseller zu platzieren und dadurch ohne Umwege die richtige Zielgruppe zu erreichen, die ich mit „Dein Weg, meine Liebe“ ansprechen wollte. Doch da hatte ich die Rechnung ohne BoD gemacht.
Um es vorsichtig auszudrücken: BoD gehört nicht zu den „Early Adopters“ moderner Werbeformen. Die Möglichkeiten, auf Amazon zu werben, sind BoD unbekannt. Dass ihre eigenen Autoren sich dafür interessieren könnten, unvorstellbar.
„Wir liefern die Katalogdaten“
Der Kundenservice quälte mich wochenlang mit denselben Textbausteinen, wonach BoD mit Amazon nichts zu tun und keinerlei Einfluss auf dortige Platzierungen habe. Man liefere die Katalogdaten, die sich Amazon – wie jeder andere Online-Shop – selbst ziehe. Punkt. Aus dieser Haltung wächst BoD-Autoren ein handfester Nachteil. Denn selbst wenn sie – wie in meinem Fall – eigenes Geld für die Bewerbung ihrer Titel bei Amazon einsetzen möchten, dürfen sie es nicht. Denn Amazon erlaubt eine solche Bewerbung nur dem Verkäufer eines Produkts. Der Verkäufer von „Dein Weg, meine Liebe“, aber ist – BoD! Die sich für die Möglichkeit, ihre Autoren dort zu unterstützen, wo sich Interessenten zu Käufern konvertieren lassen, nicht interessieren.
Empfehlungslos
Die weiter oben erwähnte Sortierung der Schwarmfischlein durch Amazon lässt sich seit einigen Wochen beobachten. Auf Facebook berichten Autorinnen und Autoren, dass ihre Neuerscheinungen keine „Käufer kauften auch“-Empfehlungen nach sich ziehen. Stattdessen erscheine dort „Kunden, die diesen Artikel angesehen haben, haben auch angesehen“. Ohne „Käufer kauften auch“-Empfehlungen verschwindet ein Produkt, das nicht anderweitig beworben wird, relativ schnell im Nirwana außerhalb der Top-10.000.
Zwei Wahrheiten
In meinem Fall werden beim Taschenbuch von „Dein Weg, meine Liebe“ knapp acht Wochen nach Erscheinungstermin ganze vier Titel angezeigt, die Kunden ebenfalls angesehen haben. Kein einziger unter „Kunden kauften auch“, dafür mehrere Seiten (!) gesponserte Produkte. Es entsteht der – falsche – Eindruck, das Taschenbuch sei auf Amazon nie bestellt worden. Dem stehen die Verkaufszahlen entgegen, die genug Spielraum für „Kunden kauften auch“-Empfehlungen lassen würden. Beim eBook von „Dein Weg, meine Liebe“werden zwar „Kunden kauften auch“-Empfehlungen angezeigt, allerdings sind diese seit Wochen identisch und verweisen zu einem Großteil auf englischsprachige Gerbauchserotik. Der – falsche – Eindruck auch hier: das eBook wurde nicht gekauft.
Regeln werden in Seattle gemacht
Die Erkenntnis: Unser Erfolg liegt nicht nur in unseren Händen, sondern auch in denen von Amazon. Widerstand zwecklos. Als hätten Autoren nicht schon genug zu knabbern an ihrer plötzlichen Empfehlungslosigkeit, müssen sie auch noch um ihre Bewertungen fürchten. In großem Stil löscht Amazon derzeit Bewertungen von nicht-verifizierten Käufen. Das betrifft vor allem Blogger, die kostenlose Rezensionsexemplare oder Testprodukte erhalten. Auf Facebook klagen sie über bis zu 500 gelöschte Bewertungen. Die Message ist klar: Amazon will Käufer, keine Nutznießer. Und: Die Regeln macht Amazon.
Neuer Wildwuchs
Während die einen noch weinen, reiben sich andere die Hände. Auf Facebook stieß ich dieser Tage auf den Aufruf eines Dienstleisters, der Rezensenten/Produktbewerter suchte. Die Kosten für das eBook würden erstattet, ob die Bewertung positiv oder negativ ausfalle, sei egal, Bezahlung für mehrere „Rezensionen“ pro Stunde zum niedrigsten Stundensatz. Für Rezis mit Foto etwas mehr. Das Ergebnis lässt sich bei einigen Titeln in den Top 1.000 bewundern: Unlektorierte Titel voller Rechtschreibfehler und mit lahmer Story präsentieren sich mit hundert meist 5-Sterne-Bewertungen. Alle lesen sich wie Textbausteine: Super Buch! Konnte es nicht aus der Hand legen! Tolle Geschichte! Ich habe geweint!
Fazit
Inzwischen (Mitte Dezember 2017) haben viele Autoren nach hartnäckigen Mails an den Amazon-Kundenservice erreicht, dass „Käufer kauften auch“-Empfehlungen zu ihren Neuerscheinungen angezeigt werden. Bei mir ist das nicht der Fall. Neue Autorin in Kombination mit neuem Buchtitel erfordert eine „Relevanzprüfung“. Der Algorithmus lernt langsamer. Immerhin hat Amazon, die anstreben, das kundenfreundlichste Unternehmen zu werden, mir angeboten, dass ich Unterkategorien für „Dein Weg, meine Liebe“ benenne, um der aus den Katalogdaten abgeleiteten, sehr allgemeinen Oberkategorie Bücher > Literatur & Fiktion zu entkommen. Wenigstens das eBook erscheint nun in den Top 100 der Unterkategorie Bücher > Literatur & Fiktion > Unterhaltungsliteratur > Gesellschaft. Das Taschenbuch nicht. Mir fällt wieder die Anekdote ein, dass Jeff Bezos sein Unternehmen ursprünglich Relentless (unbarmherzig) nennen wollte. Es wurde ihm ausgeredet. Ganz verschwunden ist der Geist hinter diesen Gedanken jedoch nicht. Das zeigt nicht zuletzt ein Besuch auf www.relentless.com.
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Von Alizée Korte | Datum: 09.12.2017