Interview mit Helgas Bücherparadies

Das neue Jahr beginnt mit sehr viel Arbeit in meinem Brot-und-Butter-Job, so dass ich kaum zum Schreiben komme und auch das, was unter #Autorenleben durch die sozialen Medien kursiert, für mich im Moment kaum existiert. Dennoch: Ein Interview ist erschienen, das ich euch nicht vorenthalten will. Helga Körner hat mich interviewt. Sie betreibt auf Facebook das Blog Helgas Bücherparadies und ist auch auf Instagram zu finden. Sie hat mir freundlicherweise erlaubt, das am 6. Januar erschienene Interview hier komplett einzustellen, weil sich auf Facebook-Seiten schlecht von außen verlinken lässt.

1. Erzähle kurz über Dich

Hallo und danke für die Einladung! Es freut mich, dass ich hier sein darf. Was kann ich über mich erzählen? Ich bin 47 Jahre alt, vollzeitarbeitende Familienernährerin und Freizeitautorin. Als Autorin Alizée Korte bin ich seit fünfzehn Monaten aktiv. Ich habe bisher zwei Bücher veröffentlicht, meinen Roman „Dein Weg, meine Liebe“ im Oktober 2017 und im Juli 2018 den Erzählungsband „Das Echo der Farben“. Beide Bücher finden sich im Genre zeitgenössische Belletristik.

2. Mit Deinem Debütroman „Dein Weg meine Liebe“ hast Du einen großartigen Liebesroman mit Tiefgang geschrieben. Du hast Dich dem Thema Behinderter angenommen und sehr glaubhaft das Leben im Rollstuhl beschrieben. Wie bist Du auf dieses Thema gekommen?

Ich glaube, das Thema ist über viele Jahre zu mir gekommen. Für prägende Menschen in meinem Umfeld waren Krankheit und Behinderung immer das schlimmste vorstellbare Unglück, das sie mit allen Mitteln aus ihrem eigenen Leben ausklammern wollte. Man schaute „diese Leute“ nicht an, man war froh, dass man selbst nicht betroffen war. Als Heranwachsende fing ich an, diese Sichtweise in Frage zu stellen. Hier und dort kreuzten Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen meinen Weg, mal war der Kontakt flüchtig, mal etwas enger. Was ich aus diesen Begegnungen mitnahm, war, dass das Leben dieser Menschen definitiv nicht „das schlimmste vorstellbare Unglück“ war. Diese simple Erkenntnis fand ich in Büchern und Filmen kaum abgebildet. Das hat mich gewundert und ich habe angefangen, in meine Manuskripte Figuren mit Behinderung einzuarbeiten. Während des Studiums verliebte ich mich dann kurz, aber heftig, in einen Rollstuhlfahrer, was für mich einige Fragen aufwarf. Warum faszinierte er mich? War ich noch „normal“? Hatte ich ein Helfersyndrom? Einen Fetisch gar? Im Endeffekt scheiterte die Beziehung, bevor sie wirklich begann, an Dingen, die nichts mit Behinderung zu tun hatten. Danach habe ich mich noch mal stärker mit der Frage befasst, warum Menschen mit Behinderung in Büchern so seltsam dargestellt werden. Ich meine, wer schreibt, sucht doch in der Regel nach starken Persönlichkeiten für die Hauptfiguren, nach Menschen mit Ecken und Kanten. Und Menschen, die aufgrund einer Behinderung immer wieder mit Benachteiligung konfrontiert werden, entwickeln sehr häufig besonders starke Persönlichkeiten, lassen sich weniger von Oberflächlichkeit blenden. Ich fand, so eine Persönlichkeit hat durchaus das Zeug zur Hauptfigur. Das habe ich um die Jahrtausendwende erstmals mit meiner Geschichte „Der letzte Mord“ ausprobiert, und ab 2012 in „Dein Weg, meine Liebe“ noch konsequenter umgesetzt.

3. Ganz groß ist gerade das Thema Inklusion. Ich habe keinerlei Kontakte zu Behinderten, würde es sehr begrüßen, wenn in unserer Gesellschaft das Miteinander mehr gefördert würde. Ist das auch Dein Anliegen und hast Du im Bekanntenkreis Behinderte, da Du so warmherzig darüber geschrieben hast?

Vor einiger Zeit las ich im großen weiten Internetz im Zusammenhang mit Inklusion den schönen Satz: Auch Nicht-Behinderte haben ein Anrecht auf den Umgang mit Behinderten. Ich finde, das bringt sehr gut auf den Punkt, dass Inklusion keine Einbahnstraße ist. Es wird ja immer nur betont, dass Menschen mit Behinderung vom Umgang mit Nicht-Behinderten profitieren. Dabei steht unausgesprochen im Raum, dass dies auf Kosten der Nicht-Behinderten geschieht. Sie sollen Rücksicht nehmen, langsamer machen, helfen. Doch ein wesentlicher Punkt wird dabei vergessen: Je mehr wir mit Menschen zu tun haben, die aufgrund von körperlichen oder geistigen Besonderheiten anders sind, umso vielfältiger wird unser eigenes Denken. Wir hinterfragen mehr, wir finden neue Lösungsansätze, wir sehen klarer, worauf es ankommt. Wenn wir erfahren, wie Menschen mit Behinderung leben, mit ihrer Besonderheit umgehen und was ihnen wichtig ist, hilft uns das – ganz egoistisch betrachtet – sogar für unser eigenes Leben. Denn wir haben gute Chancen, irgendwann selbst mit Einschränkungen zurechtkommen zu müssen. Manche erst in hohem Alter, manche früher. Und wir sind gut beraten, wenn wir dann nicht glauben, dass uns „das schlimmste vorstellbare Unglück“ ereilt hat, sondern in der Lage sind, weiterhin unser Leben als lebenswert zu empfinden.

4. Ich bin ja eine absolute Coverkäuferin und Dein Cover sagt nichts dazu, um was es ihm Buch geht. Ist das gewollt oder eher Zufall?

Das ist durchaus gewollt. „Dein Weg, meine Liebe“ ist die Geschichte von Vika und Etienne. Nicht die Geschichte eines Rollstuhls. Leider funktionieren viele von uns so, dass sie zuerst den Rollstuhl sehen, nicht die Person darin. Wer einen Rollstuhl auf dem Cover sieht, denkt zu neunzig Prozent: Ohoh, ein Schicksalsroman. Da brauche ich Taschentücher. In die Ecke wollte ich mein Buch nicht stellen.

5. Wie lange hast Du für dieses Buch gebaucht und wie viel Zeit nahm die Recherche in Anspruch?

An „Dein Weg, meine Liebe“ habe von 2012 bis 2017 gearbeitet. Also fünf Jahre. In diesem Zeitraum habe ich nicht zwischen Schreib- und Recherchephasen unterschieden. Viele Situationen habe ich selbst erlebt, darüber hinaus habe ich viel gelesen. Fachliteratur zur psychischen Bewältigung von Traumata, Blogs von Querschnittgelähmten und Inklusionsaktivisten, aber auch etliche Romane mit behinderten Protagonisten. Und Youtube schlägt mir immer noch so ziemlich jedes neue Video zum Thema Rollstuhlkarate vor.

6. Die Schauplätze des Buches sind zum großen Teil in Japan. Warst Du dort selbst überall? Sie spielen aber auch in Heidelberg. Hast Du eine besondere Beziehung zu dieser romantischen Stadt?

An den meisten Schauplätzen in Japan war ich tatsächlich. Manche habe ich allerdings räumlich verrückt. Das beschriebene Dojo in Amagasaki ist nicht wirklich in Amagasaki. Leider sind mehrere Kapitel, die in meiner persönlichen japanischen Lieblingsstadt Kyoto spielten, verschiedenen Kürzungen zum Opfer gefallen. In Heidelberg habe ich studiert und nach meinem Abschluss noch vier Jahre dort gearbeitet. Ich liebe die Stadt immer noch.

7. Du schreibst unter einem Pseudonym. Gibt es einen speziellen Grund dafür?

Ich bin ja nur Freizeitautorin. In meinem Hauptberuf kümmere ich mich seit zwölf Jahren um die Kommunikation des deutschen Zweigs eines globalen Agenturnetzwerks. Das heißt, wenn man meinen Klarnamen googelt, findet man alles, was mit Websites, Informationen und Pressemeldungen für diesen Arbeitgeber zu tun hat. Auch verschiedene Interviews mit meinen Chefs sind darüber zu finden. Da wollte ich nicht mit der lila Invasion dazwischenfunken.

8. Hast Du selbst Zeit zum Lesen und wenn ja, was liest Du und bevorzugst Du einen Lieblingsautor?

Die Zeit ist immer ein Problem. Aber ich lese gern und entdecke auch immer wieder neue Bücher, die mir gefallen. Zuletzt war das „Unter Leuten“ von Juli Zeh. Bei ihren Büchern stimmt einfach alles. Eine großartige Erzählerin, dazu klug und engagiert. Sehr gefallen hat mir auch „Dunkelgrün, fast schwarz“ von Mareike Fallwinkl. Ein tolles Debüt, beeindruckender Schreibstil. Ansonsten kämpfe ich seit dem Sommer mit dem neapolitanischen Quartett von Elena Ferrante. Ich hadere, finde es streckenweise zu langatmig, will aber auch nicht abbrechen. Wenn ich eines Tages den vierten Band beendet habe, werde ich vermutlich in Lobeshymnen ausbrechen. [Anmerkung: Ich bin bereits heute, 15. Januar, begeistert, obwohl ich soeben erst Band 3 begonnen habe. ;-)]

9. Tauscht Du Dich mit anderen Autoren aus?

Ja, aber nicht mit den genannten, sondern mit denen, die eher mein Level sind und die ich über Social Media kennenlerne.

10. Dein zweites Buch „Das Echo der Farben“ enthält sechs Erzählungen und ist wieder sehr berührend. Wann können wir mit einem neuen Buch von Dir rechnen und wann gibt es eine Fortsetzung von Etienne und Vika?

Tatsächlich arbeite ich seit einigen Monaten an der Fortsetzung von „Dein Weg, meine Liebe“. Mein Gefühl war ja immer, dass die Geschichte von Vika und Etienne nicht nach 396 Seiten zu Ende ist. Insofern geht es einfach weiter. Im Moment bin ich bei Kapitel 13. Die gute Nachricht zum Veröffentlichungszeitpunkt: Es ist relativ wahrscheinlich, dass ich nicht wieder fünf Jahre bis zur Fertigstellung brauchen werde. Die schlechte Nachricht: Wie lange es konkret dauern wird, weiß ich nicht. Wie gesagt, ich bin nur Freizeitautorin und mein Hauptberuf hat Priorität. Das liegt nicht zuletzt daran, dass an ihm das finanzielle Wohl der Familie abhängt, denn mein Mann ist seit einigen Monaten offiziell schwerbehindert. Ja, das Schicksal hat durchaus einen Sinn für Ironie.

11. Was sind Deine Wünsche für die Zukunft und möchtest Du Deinen Lesern noch etwas mitteilen?

Ja! Ein großes Dankeschön an alle, die Rezensionen zu meinem Roman auf Amazon, LovelyBooks etc. gepostet haben und/oder das Buch im Freundeskreis weiterempfehlen. Ich bin wahnsinnig froh, dass die Geschichte nicht – wie von so manchen Buchprofis prognostiziert – nur Betroffenen und ihren Angehörigen gefällt. Gewissermaßen lässt mich das hoffen, nicht nur für meine eigene Zukunft als Autorin, sondern auch für das gesellschaftliche Miteinander im wirklichen Leben. Vielleicht parken ein paar Menschen weniger „nur mal kurz“ auf Behindertenparkplätzen oder verkneifen sich die Frage „Was ist denn mit dir passiert?“, weil ein rollstuhlfahrender Karatelehrer namens Etienne Jeancour etwas in ihrem Kopf bewegt hat. Das wäre schön.

Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Interview und wünsche Dir alles Gute und weiterhin viel Erfolg.

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