„Sensitivity Reading ist ein Angebot zur Unterstützung“

 

Alexandra hat »Zum Horizont führt keine Treppe« gelesen, bevor meine Lektorin mit ihrer Arbeit begann. Meine Protagonisten sind zu Beginn der Geschichte ein recht frisch gebackenes Liebespaar , das sich auf unterschiedlichen Ebenen kennenlernt. Dabei spielt Etiennes Querschnittlähmung zwangsläufig eine Rolle und ich wollte sicher sein, dass ich hier nicht zu viele – oder falsche – Details bringe. Tatsächlich hat Alexandra sich eher mit dem Ausdruck beschäftigt und weniger mit dem Plot. Ihre Denkanstöße habe ich als sehr wertvoll empfunden.

Für ihre Vorstellung als Teil von »Team Alizée« habe ich Alexandra fünf Fragen gestellt, die euch helfen, sie und ihre Arbeit kennenzulernen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Sensitivity Reading anzubieten?

Ich habe ungefähr fünf Jahre über Literatur gebloggt, ohne zu sagen, dass ich eine Behinderung habe. Im Stillen habe ich mich natürlich trotzdem über Bücher geärgert, in denen Menschen mit Behinderung mit den üblichen Klischees und Diskriminierungen repräsentiert wurden. Irgendwann konnte und wollte ich nicht mehr schweigen und habe angefangen darüber zu schreiben. Ich habe meinen Follower*innen problematische Stellen in Büchern gezeigt und erklärt, wie sich das für mich als Betroffene liest. Das Bild, das viele Menschen von Behinderung haben, ist erschreckend einseitig. Da mir auch viele Autor*innen folgen, sind daraus unglaublich viele Rückfragen und Gespräche entstanden.

Kurz danach bin ich mit Elif und Victoria von Sensitivity Reading in Kontakt gekommen und habe begonnen mich da auch im Team zu engagieren.
Irgendwie war das alles eine ganz natürliche Entwicklung. Ich habe einfach Schritt für Schritt an einem Thema gearbeitet, das mir am Herzen liegt.

Seit wann machst du das schon?

Ich habe mich direkt als eine der Ersten als Sensitivity Reader angeboten. Intensiv betreibe ich das jetzt seit ungefähr 1,5 Jahren.

Sind deine Auftraggeber:innen hauptsächlich Selfpublisher oder Verlage?

Im Moment geht der Impuls, ein Sensitivity Reading durchführen zu lassen, in der Regel direkt von den Autor*innen aus. Egal ob Selfpublisher*in oder Verlagsautor*in. In den Verlagen kommt das Thema zwar auch immer mehr an, gehört aber noch nicht zum normalen Lektoratsprozess.

Was war bisher dein größter Erfolg als SR-Leserin?

So genau kann ich das gar nicht sagen. Sensitivity Reading verlangt immer Fingerspitzengefühl und ich bin froh, wenn Schreibende meine Anmerkungen und Empfehlungen verstehen und als Denkanstoß nutzen, um Klischees und Diskriminierungen zu beseitigen. Sensitivity Reading ist ja kein Prozess, der dazu dienen soll sich eine „Absolution“ für eventuell auftretende Kritik zu kaufen. Es ist echte Arbeit, für beide Seiten. Für mich ist es immer ein Erfolg wenn sich Autor*innen dabei mit ihren Privilegien und Vorurteilen auseinandersetzen und beginnen das Schreiben über beziehungsweise ihre Sicht auf Behinderungen zu hinterfragen.

Eine echte Überraschung habe ich übrigens abseits vom Sensitivity Reading erlebt. Ich habe auf Instagram etwas darüber erzählt, warum eine Szene eines Buches problematisch war (die Behinderung der sonst ziemlich vielschichtig porträtierten Hauptfigur wurde einfach ausgehebelt und damit quasi als „Problem“ dargestellt, das es zu lösen galt). Kurz darauf meldete sich der Verlag bei mir mit der Information, dass der Autor auf mein Feedback hin die Szene überarbeitet habe und sie so in der nächsten Auflage nicht mehr erscheinen werde.

Was wünschst du dir von Autoren und Autorinnen?

Das ist gar kein Wunsch an Autor*innen allein, sondern an die Buchbranche. Victoria Linnea hat es mal schön gesagt „Ich würde mir wünschen, dass wir Sensitivity Reading irgendwann nicht mehr brauchen.“

Wenn Own Voices Geschichten an der Tagesordnung wären, wenn auch nicht betroffene Autor*innen sich problematischer Darstellungen bewusst wären und wenn marginalisierte Menschen im Verlagswesen so gut vertreten wären, dass authentische Repräsentation ganz selbstverständlich im Lektorat mit geprüft wird, bräuchte man uns nicht mehr. Eigentlich eine ziemlich coole Vorstellung.

Bis es so weit ist, wünsche ich mir nur, dass Autor*innen Sensitivity Reading als Angebot zur Unterstützung sehen. Wir wollen nichts verbieten, sondern helfen, Darstellungen zu verbessern. Schließlich sind auch Menschen mit Behinderungen potenzielle Leser*innen und freuen sich, wenn ihre Lebensrealität sich in Büchern wiederfindet.

Weblinks zu Alexandra Koch:

The Readpack Blog

Sensitivity Reading.de

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